Sophie von La Roche – Leben und Werk
Sophie La Roche ist eine Tochter der ehemals Freien Reichstadt Kaufbeuren. Sie wurde am
- Dezember in der Hinteren Gasse geboren (heute Ludwigstr. 2). Im Alter von 6 Jahren zog
sie mit ihren Eltern nach Lindau. Zeit ihres Lebens hat sie aber ihre Heimatstadt Kaufbeuren
nie vergessen:
„Die seligste Stunde meines Lebens war die, in welcher ich zuerst wünschte, alles zu
kennen, was Gott auf unserer Erde schuf, und was wir Menschen thun können, und thun
sollen. Denn ich achte es für eben so große Pflicht, die Werke der Schöpfung, als die von
der Erlösung zu kennen. Ja ich finde die Anweisung dazu in der Bibel selbst, wo zuerst die
Geschichte der Schöpfung beschrieben ist. Ich wiederhole es, meine Lina! Daß diese Stunde
die seligste meines Lebens war, weil sie die Entdekung einer unversiegenden Quelle von
reiner Freude, von Wahrheit und Erquickung für mich wurde. Mein theurer ehrwürdiger Vater
gab mir früh einen Begrif von der Erde und ihren Bewohnern. Aber auch als ich erwachsen
war, zog mich das Pflanzenreich zuerst an sich, gewiß weil ich darinn die erste Gefühle
eines innigen Vergnügens genossen hatte, und ich bekenne dir, meine Lina! Daß mein Herz
äusserst bewegt wurde, als ich vor zwey Jahren von Herrn Wagenseil in Kaufbeuren, dem
schätzbaren Verfasser des so nützlichen Wochenblatts für Bürger, einige Blümgen geschickt
bekam, welche auf der Wiese wuchsen, auf der ich als gutes Kind von zwey und drey Jahren
die ersten Blümgen für mich gepflückt, und an ihren Farben und Gestalt mich ergözt hatte.
Ich sah diese von Wagenseil mit dem Gedanken an: – Aber welch ein Unterschied ist
zwischen den physischen und moralischen Geschöpfen dieser Erde! – wie viele
Veränderungen sind mit mir vorgegangen? Und diese Wiese blieb immer nach ihrer
ursprünglichen Bestimmung ruhig, in immerwährendem Ertrag nützlicher Kräuter, und
lieblicher einfacher Blühten. Das Bild der ersten gütigen Mühe und Sorgfalt meiner geliebten
Eltern erneuerte sich auch in mir: – In Kaufbeuren erhielt ich Leben, und die Grundlage im
Unterricht meines Geistes, neben dem unsterblichen Gefühl für die Schönheit der Natur.“ Ein
Auszug aus ihren „Briefe an Lina“.
(In „Briefe an Lina“ von 1783 spricht Sophie von La Roche über ihre Liebe zur Natur und zur
Schöpfung)
Sie schreibt aus Speyer an Christian Jakob Wagenseil am 15. März 1782:
Ich will Ihnen, mein schätzbarer Freund und Landsmann, heute noch schreiben, was seit
diesem Morgen 6. Uhr in meiner Seele vorgieng, weil ganz besonders unser Kauffbeuren mit
in die Reihe meiner Gedanken kam. Die Fenster meines Zimmers geben mir über den
Vorhof der evangelischen Kirche hin die Aussicht auf das Feld, wo ich einige Bauernhöfe,
Waldungen, Anker, die Viehweyde und die schönen Anhöhen der Bergstraße sehen kan.
Große Lindenbäume, die auf dem Vorhof der Kirche stehen, sind der Lieblingsaufenthalt
vieler hundert Vögel, und an ihrem Fuß wächst schönes Gras empor. Dieser heutige Morgen
war sehr heiter, das Geschwirre der wiedergekommenen Vögel und ihr freudiges Hin und
Herflattern ermunterte auch mich zum frühen Aufstehen. Der Gedanke des nahen Frühlings,
die von dem erneuten Umlauf der Säfte schon wieder glänzende Zweige meiner lieben
nachbarlichen Bäume, – alles das wirkt auf mich, und erweckte die selige Gewohnheit,
welche ich seit vielen Jahren habe, immer bey dem Eintritt eines Zeitwechsels einen Gesang
aus Thomsons Jahreszeiten zu lesen. Ich suchte das mir so werthe Buch, legte es mir an die
Hand, um nach dem angenommenen, mit süßen, Gang meiner Ideen den 21. März, das
schöne Gemälde des Frühlings durchzugehen. – Nun folgte der Gedanke an den Frühling
meines Lebens; viele Erinnerungen gleiteten in angenehmen Schatten meinem
Gedächtnisse vorüber, – viele mit Blumen bekränzt und manche im Trauergewand, weil
meine Tage, so wie anderer Menschen ihre, mit Freuden und Schmerzen vermischt worden
sind. Ich suchte in meiner Seele die Gefüle des Vergnügens auf, welche immer die gröste
und gleiche Gewalt über mich hatten – und ich fand die sanftesten und dauerhaftesten in den
ersten Jahren meiner Kindheit, welche mir in Kaufbeuren vorüberflossen. – Dort enstund die
immer gleich starke, reine Freude, die meine ganze Seele bey dem Anblick einer Wiese
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durchdringt. – Dort keimte das von wenigen so, wie von mir, genossene Vergnügen, bey
Durchlesung des Gedichts: über ein Gräschen. – Alles dieses wurde so lebhaft in mir, dass
ich die Begierde bekam, Ihnen zu schreiben und Sie zu bitten, dieses Frühjahr auf die Wiese
zu gehen, welche – ich glaube – nicht weit von dem Thor ist, an welchem die Wohnung des
Stadt Consulenten und Stadt Physici in einem Hause vereint waren. Pflücken Sie dort, in
Gesellschaft einer liebenswürdigen Wagenseilischen, Hoppach- oder Heinzelmännischen
Tochter, einige Wiesenblümchen für mich ab, legen Sie Grashälmchen dazu, und lassen Sie
dann, in einem Buch verbreitet, trocknen, damit ich das kleine Bouquet von Ihnen in einem
Brief erhalten kann. Sie verbinden mich sehr, wenn Sie diesen kleinen Wunsch erfüllen.
Sagen Sie diesen Frauenzimmern, dass ich als Mädchen mit ihren Müttern spielte und von
ihren Grosmüttern Freundschaft genos, und dass meine eigene Grosmutter eine gebohrne
Heinzelmann von Kaufbeuren war. – Ich möchte reich genug seyn, um diese Wiese zu
kaufen, sie mit schönen Reihen Obstbäumen zu besezen, Spaziergänge und Ruhebänke
hineinzustiften, und dies der Mädchenschule zu schenken, mit dem Vermächtniß für den
Schullehrer, damit er alle Jahre auf den 15. May, am Sophien Tag, wenn alle Obstbäume
blühend stünden und der Grasboden voller Blumen wäre, die gute blühende Geschöpfe
hinfürte und ihnen liebreich sagte: „Hier, auf diesem Boden, ist eurer guten Landsmännin
reine, unschuldige Freude, für ihr ganzes Leben aufgewachsen. Hier lernte ihr fühlbares
Kinderherz Gott und die Wunder seiner Schöpfung lieben. – Sie wünscht noch durch mich,
dass auf dieser Wiese auch in euren jungen Seelen die nehmlichen Gesinnungen aufkeimen
möchten.
Gieng dann ein schäzbarer Jüngling mit einem leibenswerthen erwachsenen Mädchen hin;
so sollte er ihr sagen: „Sey stets, wie diese Flur, schön durch die Natur.“
Sagen Sie mir doch, was für eine Art von Kleidung in Kaufbeuren herschend ist? oder ob die
phantastische Mode auch an dem Fusse der Allgäuer Berge die rührende Einfalt der Sitten
und Kleider verdrungen hat? Auch diese Besorgniß bringt in mir den Wunsch nach Gold
hervor, damit ich mit meinem ältesten Sohne, der erst kurz von der französischen Armee aus
Amerika herüber kam, in meine Geburtsstadt kommen könnte. Dieser hübsche junge Mann
sollte dann meinen geliebten Landsmänninnen erzälen, wie wenig ihm und anderen die
gepuzten Puppen in Paris gefielen, nachdem sie zwey Jahre lang den Reiz und die Anmut
der sittsamen einfachen Kleidung der amerikanischen Engelländerinnen gesehen hatten. Ich
aber würde hinzusezen, daß das wahre Gefällige des weiblichen Puzes von den Männern
bestimmt werden müsse, weil wir von der Natur angewiesen wären, ihnen zu gefallen, und
daß, wenn wir auf verkehrte und wiedernatürliche Formen gerathen, so sey es eben so wohl
ein Beweis, daß die Männer einen verkehrten Geschmack haben, als wie wir.
Sagen Sie mir auch, ob das Tänzelhölzle noch steht und noch alle Jahre besucht wird. Aber
was helfen mich all diese Erinnerungen? Denn ach!
Nie werde ich die Thäler wieder grüssen, wo ich den Lenz des Lebens zugebracht.
Leben Sie wohl, mein rechtschaffener junger Freund! Gott lasse Sie einst die Freude
geniessen, unserer lieben Vaterstadt durch Ihre Wochenschrift genüzt zu haben.
Sophie de la Roche
geb. Gutermann
Wir haben auch den Antwortbrief von Christian Jakob Wagenseil, er hat folgenden Inhalt:
Geschäfte, ein paar kleine Reisen und andere Zerstreuungen hinderten mich bisher, die so
angenehme Pflicht zu erfüllen und Ihnen, verehrungswürdige Freundin! Für Ihr letztes,
vortreffliches Schreiben und die Erlaubnis es drucken zu lassen, meinen besten Dank zu
sagen. Könnt ich Ihnen doch genugsam sagen, was für ein angenehmes Geschenk sie mir
damit gemacht haben. So möchten meinen Landsmänninnen recht oft, als in einen Spiegel
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hineinschauen, und sich bestreben, Ihnen nachzuahmen. Fahren Sie gütigst fort mit Ihrem
liebreichen Unterricht. So zeigen Sie unseren Mädchen, was den Werth des schönen
Geschlechts einzig und allein bestimmt. Ich bürge Ihnen für den Dank der Nachwelt.
Ich habe die Wiese nun ausgekundschaftet, auf der Sie die unschuldigen Freuden der
Jugend im Schoße der Natur genossen. Und – sollten Sie wohl glauben, wie nah diese
Wiese mich angeht? – Es ist der ehmalige Hugliche Garten, der zu dem Gut meines Vaters
gehört. Aus den Fenstern meines Zimmers sah ich drüber hin, und wie oft lag ich vielleicht
schon im heißen Mittag unter einem Baum, wo Sie ehmals Blumen pflückten. Ich habe mein
Clavier gegen die Fenster an der Wiese gestellt, und lasse die Vögel zum Klang meiner
Saiten singen, weil ich den Menschen vergeblich predige, dass sie’s lernen sollen.
Hier empfangen Sie auf Ihr Verlangen die Blümchen. An der Hand einer Tochter des Landes
konnt ich sie nicht pflücken, denn ich stehe mit keiner in einiger Verbindung, wollts auch
nicht wagen, eine darum zu ersuchen, denn das ist wunderbare Nation.
Sie verlangen zu wissen, was für eine Kleidung hier üblich sey? – alles was die Mode mit
sich bringt. Luxus und Pracht nimmt bey uns sehr überhand, und mit der französischen
Tracht schleichen sich auch französische Sitten ein. Natur scheidet dahin und wird von
Affektation verdrungen. Schöne Kleider und Bänder ist alles, was unserm Frauenzimmer die
Seele füllt nebst der Sorge wie eine der anderen es bevor thun will, aber die Köpfe und
Herzen bleiben leer.
Das Tänzelhölzle steht allerdings noch, aber schade, dass es immer lichter wird, denn es ist
sündlich wie in den Bäumen gehaußt wird. Überdas trieben die Leute ihr Vieh hinein und
hindern den jungen Nachwuchs. Das das Ihnen bewusste Kinderfest noch gefeyert wird,
belieben Sie im Wochenblatt 1. Jahrgang S. 71 und 2. Jahrgang S. 67 nachzusehen. Das
Tänzelhölzle ist immer das Ziel meiner einsamen Spaziergänge. Da erinnere ich mich recht
lebhaft meiner frohen Kinderjahre. Ich übersehe die weite Gegend, Felder, Wiesen Wälder
und Dörfer rings umher. Unten am Berg ist der Gottesacker, wo meine gute Mutter
schlummert, die schon im zweyten Jahr meines Lebens, ach Gott so früh! starb. Wenn ich
dann die Gegenden ansehe, wohinaus ich in die weite Welt reißte, und woher ich wieder
kam; – o mit viel verschwundenen Hoffnungen und zerrissenen Plänen; wenn dann
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft meine Seele beschäftigen: – o das sind meine
glücklichsten Augenblicke, die ich mit dem hier herrschenden Vergnügen – dem lieben
Tarockspiel – nie tauschen würde.
Unser Sander war zwey Tage bey mir, und ich begleitete ihn bis Innsbruck. Er empfiehlt sich
Ihnen bestens. – Mein Vater servierte bei Herrn von Schüle da sie sich noch in Augsburg
aufhielten und kam öfters in Ihr Haus, denn vielleicht wissen Sie nicht, dass wir die Ehre
haben, einigermaßen mit Ihnen verwandt zu seyn. Er hat mir aufgetragen, Ihnen seine
gehorsame Empfehlung zu melden.
Leben Sie glücklich und wohl, vortreffliche Freundin! Ich wünsche nichts mehr, als das Glück
zu haben, Sie einmal mündlich derjenigen Hochachtung versichern zu können, mit der ich
stets seyn werde.
dero
ganz ergebenster
Wagenseil J.C.
Juris Candidatus.
P.S.
Von der Frau des Hochlöblichen Kanzleyverwalters Hörmann, einer geb. Zitlerin, leben zwey
Söhne, der ältere ist Kaufmanns Bedienter in Frankfurt und der jüngere ist in kgl.
Sardinischen Kriegsdiensten Unteroffizier.
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Biographie:
Sophies Urgroßvater war Apotheker in Biberach an der Riß, Georg Ludwig Rauh, der
Jüngere. Er heiratete Anna Maria Buck. Die Urgroßeltern bekamen 8 Kinder. Eine Tochter,
Maria Christine Rauh heiratete den Hauptmann Christoph Kick. Deren Tochter Regina
Katharina Kick nahm sich Thomas Adam Wieland, Senior in Biberach, als Gatten. Die beiden
wurden die Eltern von Christoph Martin Wieland, dem großen Literaten seiner Zeit. Eine
weitere Tochter von Georg Ludwig Rauh, Maria Jakobine Rauh ehelichte den
Hospitalverwalter in Biberach, Hans Adam Gutermann. Deren Sohn, Dr. med. Georg
Friedrich Gutermann (späterer Edler von Gutershofen) und seine Frau Regina Barbara von
Unold aus Memmingen wurden Eltern der kleinen Sophie, die berühmt wurde unter dem
Namen Sophie von La Roche.
Ihr Vater hatte in Tübingen, Straßburg und Leiden Medizin studiert und wurde 1728
Stadtphysikus in Kaufbeuren. Er war Herausgeber der Kaufbeurer Hebammenverordung
von 1737. Diese, vom evangelischen Stadtphysikus veranlasste Verordnung wurde von den
umliegenden katholischen Reichsstädten auf den Index gesetzt. In 29 Artikeln wird die Arbeit
der Hebammen genauestens geregelt. Es ist beispielsweise festgelegt, daß sie beim Ruf
einer Schwangeren unverzüglich zu erscheinen habe, daß sie am eigenen Leibe, ihren
Armen und Händen reinlich zu sein habe. Ihre Nägel sollen sorgfältig beschnitten sein. Es ist
den Hebammen verboten, eine in „Unehren“ schwanger gewordene Frau in ihr Haus
aufzunehmen. Wenn sie von einer unehelichen Schwangerschaft erfährt, muß sie es dem
Rat der Stadt mitteilen. Wird sie zu einer durch „verbotene Lieben“ schwangeren Frau
gerufen, soll sie zunächst versuchen, von der in den Wehen Liegenden den Namen des
Kindsvaters zu erfahren. Dafür soll ihr die Hebamme sogar androhen, für die Geburt nicht
zur Verfügung zu stehen. Der Hebamme wurde es untersagt, mit Hacken, Messern, Scheren
oder anderen Instrumenten „in die Mutter zu langen, da durch deren unerfahrenen und
verwegenen Gebrauch nur die allerübelsten Folgen zu befürchten sind“. Auch bei
Krankheiten soll sie den Frauen in der Stadt helfen. Diese Hebammenverordnungen wurden
während und nach der Zeit der Hexenverfolgungen übliches Instrument, um die früher sehr
frei arbeitenden Hebammen, die „Ärztinnen des Volkes“, unter die Herrschaft der männlichen
Mediziner zu stellen. Insofern war die Hebammenverordnung durch Gutermann keine
außergewöhnliche Maßnahme. Das Besondere an dieser Verordnung war, daß der
hygienische und der medizinische Aspekt dominierend waren. Die restrikitven Maßnahmen
gegen ehrlose Schwangerschaften waren im Vergleich zu anderen Hebammenverordungen
eher bescheiden. Deswegen wurde diese Verordnung in katholischen Städten abgelehnt.
Daneben konnte man als Katholik keine Verordnung eines Protestanten akzeptieren. In der
Stadt selbst wurden alle Ämter, angefangen bei den Hebammen und dem Totengräber über
die Stadtknechte, Ratsboten und Lehrer, bis hin zum Rat der Stadt paritätisch besetzt.
Georg Friedrich Gutermann war ein Tit. H. Licentiat als er sich in Kaufbeuren bewarb und
hatte promoviert über die weibliche Brust. Man kann sagen, er war auch ein Gynäkologe.
Das war damals etwas besonderes, da die Geburtshilfe üblicherweise nur von Hebammen
und vielleicht auch Chirurgen ausgeübt wurde. Medizingeschichtlich interessant ist deshalb,
dass sich Gutermann bei seiner Einstellung bereits verpflichtet hat, auch die Hebammen in
der Kunst der Geburtshilfe zu unterrichten. Er verfasste eine für Kaufbeuren verbindliche
Hebammenverordnung, die später auch die Stadt Augsburg übernahm. Für damalige Zeiten
so fortschrittlich, dass sich die umliegenden (rein katholischen) Gemeinden empörten und
sich weigerten, diese anzunehmen.
Er verfasste auch ein „Tractätlein, welches den Titel hat: „nachricht vom nützlichen Gebrauch
und zuverlässigen Würckungen bewährter balsamischen und stärckenden, auch Geblüt- und
Mutter-reinigenden Pilulen, worinnen zugleich auch mancherley schwehre und gefährliche
Zufälle und Krankheiten des weiblichen Geschlechts kürztlich behandelt und erkläret
werden.“ – Alles sehr fortschrittliche Schriften
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Im häuslichen Kreis dagegen galt Gutermann als Haustyrann. Christoph Martin Wieland beschrieb
ihn im Kreise seiner Weimarer Kollegen: „Ihr (also Sophie’s) Vater war ein
geschickter Arzt, aber voll Eigenheiten und thörichter Phantasien. Sie verlor früh ihre Mutter,
die der Vater zu Tode gepeinigt hatte.“
Die Mutter hingegen war eine sehr sanftmütige, wohltätige Frau.
Die Mutter legte Wert darauf, die Töchter als wohlerzogene, gottgläubige junge Mädchen zu
erziehen. Sophie schreibt selbst darüber: „[…] wovon ich nichts im Gedächtnis behielt, als die
liebe Vorschrift; mit schönen freundlichen Gedanken einzuschlafen; denn da würde man den
anderen Morgen mit einer allen Hausgenossen angenehmen Miene erwachen, und immer
geliebt seyn. Alle Jahre einmal führte uns meine Mutter zum Mittagessen zu unserer
Milchfrau, wo wir ländliche Arbeit und Kost kennen, Landleute schätzen, und für das Loos
unseres Lebens dankbar seyn lernten.“
Meine Mutter hatte mich die Engel lieben gelehrt, welche mich, wie sie sagte, bei meinem
Fleiße in allem Guten und Nützlichen umgeben würden.
Die Eltern Gutermann pflegten den strengen Glauben des Pietismus, eine evangelische
Glaubensrichtung, die die besondere Hinwendung zu Gott predigt und besonders strenge
Moralvorstellungen wie „Treue, Standhaftigkeit, Weltflucht, Entsagung, Mystik, Bekehrung,
Fleiß, Pünktlichkeit, Strebsamkeit, Demut, Dulden, Hinnehmen hat.
Sophie La Roche hatte insgesamt 12 Geschwister, 11 Schwestern, davon sind in
Kaufbeuren geboren: - Maria Sophia, geb. am 6. Dezember 1730
- Jacobina Euphrosina, geb. am 6. Juli 1732
- Katharina Christina, geb. am 11. Oktober 1733 (11.8.1734 Geb. BC)
- Friderica Regina, geb. am 21. Dezember 1734
- Regina Dorothea, geb. am 20. September 1736
Ihre Schwester Katharina Gutermann, genannt „Cateau“, später verh. Katharina von Hillern,
war die Ehefrau des Bürgermeisters von Biberach, Dr. Johann von Hillern. In Biberach war
sie für ihr „Einmischen“ in die Geschäfte des Mannes regelrecht gefürchtet.
Bei der Geburt des ersehnten Stammhalters, des 13. Kindes, starb Regina Barbara
Gutermann zusammen mit dem Neugeborenen in Augsburg. Erst die zweite Frau gebar dem
Vater den ersehnten Stammhalter.
Der evangelische Stadtphysikus Dr. Gutermann besaß ein hohes Ansehen in Kaufbeuren.
Über seine Frau Regina Barbara von Unold war er mit einer der einflussreichsten Familien
Kaufbeurens verwandt, der Familie Heinzelmann. Sophie war die Älteste der Geschwister als
sie am 6. Dezember 1730 in Kaufbeuren das Licht der Welt erblickte. Drei Mädchen und ein
Bruder überlebten das Säuglingsalter.
Sophie ließ schon früh eine besondere Begabung erkennen. Ihr Vater förderte dies zunächst
spielerisch: „Mein Vater war ein Gelehrter, […] machte […] mich früh die Bücher lieben, da er
mich oft, ehe ich volle zwei Jahre alt war, in seine Bibliothek trug, wo er mich mit den
schönen Verzierungen der Einbände und Titelblätter zu belustigen suchte […]“
Die Familie Gutermann übersiedelte 1737 nach Lindau, wo der Vater erneut eine Anstellung
als Stadtphysikus bekam. Mit neun Jahren kam Sophie für drei Jahre zu den Großeltern
nach Biberach. Als sie in das elterliche Haus zurückkehrte, war ihr Vater bereits seit 1741 in
Augsburg und inzwischen Dekan der medizinischen Fakultät in Augsburg. Er wurde in den
Reichsadelsstand erhoben („Gutermann, Edler von Gutershofen“) und sein Haus war ein
beliebter Treffpunkt von Gelehrten geworden. Sophie wurde streng pietistisch erzogen und
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erlernte daneben, wie es bei Töchtern aus wohlhabenden bürgerlichen Familien üblich war,
die weiblichen Beschäftigungen: „Im väterlichen Hause mußte alle Tage, neben der Arbeit an
der Seite meiner Mutter, eine Betrachtung in Arndts wahrem Christenthume, am Sonntage
eine Predigt von Frank in Halle gelesen und eine gehört werden […] Doch wurde ich
daneben auch die beste Tänzerin, lernte französisch, zeichnen und Blumen malen, sticken,
Klavier spielen, und Küche und Haushaltung besorgen“, so beschreibt Sophie viele
Jahrzehnte später ihre weibliche Bildung in ihrem Lebensrückblick „Melusinens
Sommerabende“ (1806). Sie erwähnt dort auch, daß sie schon mit drei Jahren lesen lernte,
mit fünf die Bibel las und mit zwölf als Helferin ihres Vaters bei Herrenabenden recht nützlich
war, „weil mein gutes Gedächtnis mich alle Titel und alle Stellen behalten ließ, welches ich
dann auch zum Auswählen der Bücher selbst benutzte.“
Ihr Taufpfarrer und Seelsorger Jakob Brucker, der durch seine seit 1842 erschienene
„Historica Critica Philosophiae“ zu Ansehen gelangt war und zwischenzeitlich an der Heilig
Geist Kirche in Augsburg predigte, erkannte die hohe Intelligenz des Mädchens und wollte
ihr Unterricht erteilen. Der Pietist Brucker begründete dies damit, dass man Fähigkeiten, die
Gott verliehen habe, nicht ungenutzt lassen dürfe. Der Pietist Gutermann begründete seine
Ablehnung gegenüber dem Ansinnen Bruckers auch mit seinen pietistischen Grundsätzen.
Er meinte, dass Kenntnisse, die über eine sog. „weibliche Bildung“ also Französisch und
Blumenmalen, Sticken, Klavierspielen, Küche und Haushaltung besorgen, hinausgingen,
nicht nur nutzlos, sondern sogar schädlich seien, weil sie das Mädchen von den ihr
zugedachten Aufgaben abzogen, es hochmütig und stolz machten, vor allem aber, weil für
solch eine Mädchen kein Mann zu finden sei, da sie sich ja keinem ihr an Kenntnissen
unterlegenen Mann unterordnen würde. So wurde es also nichts mit Latein, als dem Anfang
aller gelehrten Bildung.
Mit ihrer schnellen Auffassungsgabe, ihrer feinen Beobachtung und ihrem guten Gedächtnis
bildete sich Sophie ihr Leben lang selbst weiter. Sie war, wie alle literarisch tätigen oder
geistig hervorragenden Frauen im 18. Jahrhundert, hauptsächlich eine Autodidaktin, da ihr
eine höhere Schulbildung als Frau verschlossen war. Bildungsanstöße kamen von den
Männern ihres häuslichen Kreises. Da war zunächst der Vater, dann der Kollege des Vaters,
der spätere Verlobte Bianconi, der die siebzehnjährige Sophie in den verschiedensten
Fächern unterrichtete – alles in französischer Sprache, da der gebürtige Italiener Bianconi
kein Deutsch verstand und Sophie kein italienisch.
Giovanni Lodovico Bianconi war der Leibarzt des Fürstbischofs von Augsburg. 1746 lernte
Vater Gutermann Bianconi in Jakob Bruckers Gelehrtengesellschaft „ad insigne pinus“
kennen. Die Mutter legte Wert darauf, die Töchter als wohlerzogene, gottgläubige junge
Mädchen zu erziehen. „[…] wovon ich nichts im Gedächtnis behielt, als die liebe Vorschrift;
mit schönen freundlichen Gedanken einzuschlafen; denn da würde man den anderen
Morgen mit einer allen Hausgenossen angenehmen Miene erwachen, und immer geliebt
seyn. Alle Jahre einmal führte uns meine Mutter zum Mittagessen zu unserer Milchfrau, wo
wir ländliche Arbeit und Kost kennen, Landleute schätzen, und für das Loos unseres Lebens
dankbar seyn lernten.“
Mit 15 Jahren wurde Sophie anläßlich eines Hofballes in die Gesellschaft eingeführt. Sie
mußte gleich bei dieser ersten Gelegenheit großen Eindruck hinterlassen haben, verfügte sie
doch über eine hohe Figur, regelmäßige Züge, langes, kastanienbraunes Haar und war dazu
noch eine ausgezeichnete Tänzerin. Damals war man schon früh erwachsen, also stellten
sich bald darauf die ersten Bewerber um ihre Hand ein. Ein ernsthafter Bewerber war
Bianconi, geboren in Bologna, „uomo universale“ und Mann am Hofe. Sophie war jung und
lernhungrig. Bianconi legte Wert darauf, daß sie Unterricht im Klavierspiel nahm und daß ihre
Altstimme ausgebildet wurde. Er lehrte sie Italienisch und Mathematik, Geschichte und
Kunstgeschichte. 1747 verlobte sich Bianconi mit Sophie. „Im 17ten Jahre schien ich von
dem Schicksale zu eigentlichen Wissenschaften bestimmt zu werden, da Herr Bianconi […]
mich zu seiner Frau begehrte, und mir alle italiänische Dichter und Geschichtschreiber, auch
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alle Kupfer der alten und neuen Künste von Rom und Griechenland kennen lehrte, auch in
seiner Gegenwart beim Concertmeister Lang am Claviere meine (wie man sagte) schöne
Contra-Altstimme übte. Meine Mutter hatte mich die Engel lieben gelehrt, welche mich, wie
sie sagte, bei meinem Fleiße in allem Guten und Nützlichen umgeben würden. Bianconi
sprach von Genien, die mir günstig seyen; wollte, nach dem damaligen Geiste seiner
Vaterstadt Bologna, mich zu großen Kenntnissen leiten […]“.Das bedeutete, dass Bianconi
sie zu einer zweiten Laura Bassi heranbilden wollte, eine der wenigen Frauen der damaligen
Zeit, die akademische Gelehrsamkeit besaßen. Möglicherweise war sie die einzige, die in
der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine adäquate öffentliche Stellung erreichte. Sie
konnte in ihrer Vaterstadt Bologna zum Doktor promovieren und für sie, das „Wunder ihres
Geschlechtes“ und die „Zierde ihres Vaterlandes“ wurde eine Professur eingerichtet. Sie war
Mitglied einer schöngeistigen und wissenschaftlichen Gesellschaft, Dichterin und
Mathematikerin. Sie heiratete, hatte mehrere Kinder und war, wie es heißt, bei aller
Gelehrsamkeit eine mustergültige Mutter.
1748 stirbt Sophie’s Mutter. Der Vater schickt daraufhin alle Kinder zu den Großeltern in das
Pfarrhaus Wieland nach Biberach. Er selbst reiste mit Bianconi nach Italien um dessen
Familie kennen zu lernen. Die Reise dauerte über ein Jahr. Nach der Rückkehr wurde die
Verlobung gewaltsam gelöst. Die Heirat mit dem sechzehn Jahre älteren Bianconi scheiterte
schließlich am Ehevertrag, da sich der streng protestantische Vater Gutermann und der
ebenso streng katholische Bianconi nicht über die Religionsklausel einigen konnten: Der
Vater bestand auf einer protestantischen Erziehung der Töchter, der Verlobte auf der
katholischen aller Kinder – Sophie wurde dazu, wie es zu ihrer Zeit üblich war, gar nicht erst
gefragt. Der Vater begründete dies, weil er nach seiner physischen Kenntnis glaubte, da sie
bei vollblühender Gesundheit und erst 19 Jahre sei, Bianconi hingegen schon 35, in der Ehe
mehr Mädchen gezeugt würden als Söhne und so die lutherische Kirche mehr Seelen
gewinnen könnte. Sie lehnte eine heimliche Trauung mit Bianconi ab, weil sie ihren Vater
„nicht betrüben wollte“, der dann ihren Liebeskummer damit zu beenden suchte, daß er
Sophie zwang, „alle Briefe (Bianconis), Verse, schöne Alt-Arien […] mit der Schere in
„tausend“ Stücke zu zerschneiden. Alle Andenken an Bianconi wurden verbrannt, was nicht
brennbar war, mußte zerstört werden, den Verlobungsring mußte sie selbst mit Eisenstäben
zerbrechen. Konsequent und eigen wie sie war, tat Sophie ein weiteres: Sie wollte nie wieder
mit den von Bianconi erworbenen Kenntnissen brillieren: Gesang, Klavierspiel, Italienisch
und Mathematik waren fortan tabu für sie. („So wollte man das Andenken des Mannes
auslöschen, dem mein Geist so viel Schönes zu danken, mein Herz so viel Glück von ihm zu
hoffen hatte, der mich nie gezankt, immer geliebt und gelobt hatte […] Noch in dem Zimmer
meines Vaters that meine empörte Seele tief in ihrem Innersten das Gelübde: Ich bin von
dem Manne losgerissen […] Ich kann nichts mehr für ihn thun, nicht für ihn leben […] Nun so
soll auch Niemand mehr jemals meine Stimme, mein Clavierspiel, die italiänische Sprache
[…] oder irgend etwas, so er mich lehrte, hören, oder nur in mir vermuthen. – Ich habe Wort
gehalten […]“. Aus Melusinens Sommer-Abende, 1806).
Wieland schrieb im Vorwort zu diesem Buch, ihrem Lebensrückblick, „Melusinens
Sommerabende“ voll Bewunderung, daß sie diesen Vorsatz konsequent ihr ganzes Leben
eingehalten habe. Bianconi starb später, im Jahre 1781 als sächsischer Resident in Rom.
Sophie wandte sich, obwohl protestantisch, an den Bischof von Augsburg, sie wolle in ein
Kloster. Ihre Familie verhinderte das und schickte die neunzehnjährige Sophie daraufhin
nach Biberach in das Pfarrhaus Wieland zum Vetter des Vaters. Der Biberacher „pastor
primarius“ Thomas Adam Wieland sollte sie in sein Haus aufnehmen und ein Auge auf sie
haben, er sollte sie in den wahren Christenpflichten unterweisen und sie zur Räson bringen.
Im Sommer 1750 kam der Sohn des Hauses Christoph Martin Wieland von einem Aufenthalt
in Erfurt in das Elternhaus zurück. Er verliebte sich auf der Stelle in die nicht ganz drei Jahre
ältere Cousine, die so viel Gefühl und Geist hatte. Berühmt wurde der sog.
„Verlobungsspaziergang“ am 23. August 1750 im Anschluß an eine Predigt des Pastor
Wieland an seine Gemeinde mit dem Thema „Gott ist die Liebe“. Bei diesem Spaziergang
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erklärte der junge Wieland seiner verwandten Sophie, wie er über die Liebe dachte. Am
Ende stand eine Verlobung, an die sich beide gebunden fühlten.
Wieland wurde über diese Liebe zum Dichter:
„Nichts ist wohl gewisser, als daß ich, wofern uns das Schicksal nicht im Jahre 1750
zusammen gebracht hätte, kein Dichter geworden wäre.“
Wieland musste bald wieder an die Universität Tübingen und schrieb von dort zahlreiche
Liebesgedichte an Sophie. Aus dem Studenten der Rechte wurde ein Dichter. Eine
Einladung zu Bodmer nach Zürich war der Beginn seines unvergleichlichen Aufstieges in die
Spitzengruppe der deutschen Literaten. Die räumliche Entfernung von Sophie und der
Aufenthalt in der großen neuen Welt Zürich entfremdeten ihn von seiner Verlobten. Diese
Beziehung wurde von Wielands Mutter und Sophies Vater äußerst kritisch gesehen und
führte wohl dazu, dass eine mögliche Eheschließung nicht eingeleitet wurde. Am 29. Januar
1753 wollte Vater Gutermann erneut heiraten. Er erwartete von seinen älteren Töchtern, daß
sie sich ebenfalls baldmöglichst verheiraten sollten. Daraufhin schickte Sophie ihrem
Verlobten Christoph Martin Wieland nach zweijähriger Verlobung einen Abschiedsbrief. Zeit
ihres Lebens hat sie nie konkrete Gründe für die Auflösung der Verlobung geäußert und
auch Wieland hat nie von ihren Beweggründen erfahren, er mutmaßte:
„Den Charakter meiner Liebe zu Sophien muß man aus meinen ersten Schriften holen. Sie
war höchst enthusiastisch, aber im eigentlichen Verstande platonisch; Ich kann mich aber
jetzt nicht darüber ausbreiten: Wir waren im Jahr 1750 (wo ich erst siebzehn Jahre alt war)
nur ungefähr vier Monate beisammen […]“.
Sophie von La Roche’s späte Erklärung beschränkte sich auf folgendes:
„Wielands vorzügliche Freundschaft für mich, machte mir das Beste und Schönste des
Geistes der Alten und Neuen bekannt, ich verehrte und liebte ihn dankbar, war auf seine
Kenntnisse stolz, weil ich sie mein ganzes Leben zu theilen hoffte, denn ich sollte mit ihm
verbunden werden. Mißverständnisse aus den edelsten Beweggründen trennten uns.“ (aus
Melusinens Sommer-Abende, 1806)
Trotzdem blieben beide ihr Leben lang Seelenverwandte und Freunde. In einem
ergreifenden Brief zu Sophie’s 75. Geburtstag kommt dies zum Ausdruck:
Christoph Martin Wieland an Sophie von La Roche – Weimar 20. 12. 1805
Teuerste Freundin!
Mit Beschämung überreiche ich Ihnen hier die Fortsetzung des Ihnen bestimmten Exemplars
des „Journals deutscher Frauen“, die Ihnen hätte monatlich zugeschickt werden sollen.
Meine Nachlässigkeit in solchen Dingen ist eine so eingewurzelte Untugend und wird durch
eine seit mehreren Jahren immer zunehmende Vergesslichkeit so sehr vermehrt, dass ich
nicht daran denken mag, mich darüber zu entschuldigen, und lieber will ich es Ihrer
grenzenlosen Gutherzigkeit überlassen, ob sie Ihnen einige Beweggründe darbieten wird,
einige Nachsicht mit Ihrem alten Freunde zu tragen.
Wenn mein Gedächtnis mich nicht auch in diesem Punkt (wie beinahe in allem, was die
Chronologie meines Lebens betrifft) hintergeht, so ist heute der Tag, an welchem vor 75
Jahren eines der liebenswürdigsten und besten weiblichen Wesen unter allen, die jemals
gelebt haben, jetzt leben und künftig leben werden, das Licht zuerst erblickte. Wie wichtig
war dieser Tag, an welchem das Glück so mancher edeln und guten Menschen hing, auch
für mich und mein ganzes Leben! Mit Rührung und Dank gegen die unsichtbare Hand, die
unsere Schicksale lenkt, erinnere ich mich der seligen Tage, die ich, ewig teure Sophie, in
den Jahren 1750, 51 und 52 mit Ihnen lebte und des wunderbaren und wo(hl) nicht ganz
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beispiellosen, doch gewiss höchst seltenen und mir durch seine Folgen so wohltätigen
Zaubers, den Sie mit dem ersten Blick auf mein ganzes Wesen warfen. Damals kannte ich
freilich weder Sie noch mich selbst, ich hatte keinen Begriff davon, dass es möglich sei, nicht
mit Ihnen und für Sie zu leben. Aber es war eine idealische, eine wahre Zauberwelt, in der
ich lebte, und selbst die Sophie, die ich so innig und doch so schwärmerisch liebte, war nicht
die wahre Sophie Gutermann, sondern die Idee der Vollkommenheit, die sich in ihr
verkörpert darstellte, mit ihr sich identifizierte, und also ganz natürlich diese seltsame,
wunderbare, platonische Liebe hervorbringen musste, wovon ich späterhin im Agathon und
mehrern andern meiner Werke einige Schattenbilder zu entwerfen suchte und deren süße
Täuschungen einen so mächtigen Einfluss auf meine ganze innere und äußere Existenz
gehabt haben. Nichts ist wohl gewisser, als dass ich, wofern uns das Schicksal nicht im
Jahre 1750 zusammengebracht hätte, kein Dichter geworden wäre.
Sie mussten, um der moralischen Welt so wohltätig zu werden, als Sie es in der Folge, bis
auf diesen Tag gewesen sind, Sophie La Roche werden; und ich bin aufs innigste überzeugt,
dass die einfache, kunstlose, von der Natur allein, aber in einer Form, die sie auf ewig
zerbrochen hat, wie absichtlich für mich gebildete Dorothea Hillenbrand die einzige war, mit
der ich, ohne in meinem Laufe gehindert zu werden, glücklich und so glücklich sein konnte,
dass meine Anhänglichkeit an sie mit den Jahren immer inniger wurde und dass in den 35
Jahren unserer Ehe auch nicht ein einziger Augenblick war, wo es mich gereut hätte, mein
Leben mit dem ihrigen verflochten zu haben.
Doch es ist Zeit, dass ich allen den Gedanken und Betrachtungen Einhalt tue, wozu mich der
heutige Tag veranlasst. Die Gefühle, wovon sie begleitet sind, lesen Sie in meiner Seele,
und sie würden durch Worte nur entheiligt werden. Die Wünsche, teuere Sophie, die ich in
diesem Augenblick und in jedem andern, der mich an sie erinnert, für Ihr Leben, für Ihre
Zufriedenheit und für alles, was Teil an Ihnen hat, zum Himmel schicke, sind zu rein und zu
gerecht, um nicht erhört zu werden; und eine innere Ahnung sagt mir, dass Sie sich,
während meine Kräfte unvermerkt abnehmen, in der seltenen Jugendkraft des Geistes,
welche alle Welt an Ihnen bewundert, noch lange erhalten werden; und kurz, dass Sie, so
wie Sie bestimmt waren, meinem Geiste den Schwung und die Richtung zu geben, wodurch
ich, was ich bin, werden sollte, auch dazu bestimmt sind, mich zu überleben, einige Blumen
der Liebe und Freundschaft auf mein Grab zu werfen und mein Andenken unter den guten
Menschen bewahren zu helfen.
Und so leben Sie wohl, liebste Freundin, und erfreuen bald mit einigen Zeilen Ihrer lieben
Hand
Ihren ewig zugeeigneten, treuen Freund.
Sophie kehrte nach Augsburg zurück und hier ließ ein Ehekandidat nicht lange auf sich
warten: Georg Michael Frank La Roche. Er wurde am 4. April 1720 in Bischofsheim
katholisch getauft und galt als Kind des wenige Tage zuvor (am 26. März) verstorbenen
Wundarztes und Ratsherrn Johann Adam Frank (geb. 1657) und seiner Frau Anna Katharina
(verheiratet seit 1719). Der leibliche Vater war vermutlich Graf Friedrich von Stadion, der ihn
in frühester Jugend in sein Haus aufgenommen, mit dem Beinamen La Roche versehen hat
und ihn standesgemäß zu einem Verwaltungsbeamten und Staatsmann erzog – mit
Studienaufenthalten in England und Frankreich. Graf Stadion war seit 1718 kurmainzischer
Oberamtmann, dem ein rascher Aufstieg zum Großhofmeister am Hof der Fürstbischöfe in
Mainz gelang und dabei beträchtlichen Einfluß erlangte. Georg Michael Frank La Roche
hatte offiziell den Titel eines kurmainzischen Rates, begleitete Graf Stadion aber
hauptsächlich als Privatsekretär auf seinen politischen Reisen, kümmerte sich als Verwalter
um die Besitzungen und das Vermögen des Grafen und war sein Vertrauter. Den Mittelpunkt
der Besitzungen des Grafen Stadion bildete Schloß Warthausen bei Biberach. Während der
Aufenthalte auf Schloß Warthausen lernte La Roche die junge Sophie Gutermann kennen,
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die damals noch in Biberach als Wielands Verlobte weilte. Am 27. Dezember 1753
vermählten sich Georg Michael Frank La Roche und Sophie Gutermann in der Schloßkapelle
zu Warthausen. Es war sicherlich eine Vernunftehe, die aus Gründen der Versorgung
geschlossen wurde. Darüber hinaus wurde den erwachsenen Töchtern nahegelegt, sich zu
verheiraten um dem Vater die angestrebte Eheschließung mit seiner zweiten Frau zu
ermöglichen.
Die ersten Ehejahre verbrachte Sophie in Mainz am kurfürstlichen Hof. Mit den dortigen
Staatsgeschäften betraut war Friedrich Graf von Stadion. So führte Sophie kein privates
Leben an der Seite ihres Mannes, sondern von ihr wurde erwartet, daß sie immer für
Repräsentationszwecke zur Verfügung stand. Sie hatte einen Teil der Korrespondenz zu
führen, insbesondere mit dem Abbé La Chaux in Paris. Französisch war die gängige
Hofsprache in Europa. Über die Vorkommnisse in Paris mußte man immer im Bilde sein.
Man gab Gesellschaften und führte heitere, unterhaltsame und gebildete Gespräche, mußte
vertraut sein mit den schönen Künsten und gelehrte Bildung gehörte selbstverständlich mit
dazu. La Roche konnte stolz sein auf die Erscheinung seiner Gattin am Mainzer Hof. Sie
wurde auch geschult für die Aufgaben, die sie zu bewältigen hatte. Bevor La Roche zu
seinen täglichen Geschäften ging, legte er ihr Bücher und Zeitschriften heraus, damit sie sich
darin vertiefen konnte. Von Sophie erwartete man, daß sie das Gelesene bei Tisch, bei
Gesellschaften oder bei Spaziergängen geistreich in die Unterhaltung einfließen ließ.
Während ihrer ersten Schwangerschaft lernte sie Englisch, damals die neueste „Mode“ die
zuerst die avanciertesten Höfe und Zirkel erfaßt hatte. Dies war besonders wichtig am Hof
von Mainz, dessen Verbindung zu England sich im Österreichischen Erbfolgekrieg ergeben
hat. Georg Michael Frank von La Roche war der Spezialist für die Englandbeziehungen, die
seinem Adoptivvater, Graf Stadion, besonders am Herzen lagen. Graf Stadion kannte als
glühender Verehrer von Voltaire dessen „Lettres anglaises“, mit denen er die Blicke Europas
auf die Insel lenkte. Inzwischen war England europäische Großmacht Nr. 1 und man
interessierte sich für die englische Kultur. Das englische wurde prägend für Sophie von La
Roche und dies zeigt sich in all ihren Schriften. Selbst Wieland schrieb einmal: „Die ganze
Welt ist mir ein Nichts gegen meine englische und mehr als englische Sophie.“
Es waren acht Kinder denen Sophie das Leben schenkte. Fünf davon erreichten das
Erwachsenenalter. Maximiliane, die älteste wurde am 31. 5. 1756 geboren, Fritz am 10. 12.
1757, Luise am 13. 5. 1759. Zu den beiden jüngsten Kindern Carl (11. 01. 1766 und Franz
Wilhelm (16. 04. 1768) hatte sie eine besonders enge Beziehung.
In bürgerlichem Hause, wie in ihrem Elternhaus, war die vornehmste Aufgabe der Mutter die
Sorge um die Kinder. In Kreisen ihres Ehemannes jedoch erwartete man von ihr
gesellschaftliche Präsenz und überließ die Kindererziehung dem Personal. Damals hatte
man die Theorie, daß es nicht gut sei für Frauen, wenn sie stillten. Unter diesem Hofzwang,
bzw. diesen Hofgewohnheiten hat Sophie gelitten. Ebenso unter der Tatsache, daß es ihr
nicht erlaubt war, ihre Töchter selbst zu erziehen. Die Kinder wurden in diesen Adelskreisen
aus dem Haus gegeben, um sie in irgendeinem Institut, Kloster, Internat oder Stift auf ihre
gesellschaftliche Stellung vorzubereiten. So kamen auch Maximiliane und Luise in ein
Kloster nach Straßburg. Hier wurden sie in die französische Sprache und Kultur eingeführt.
Ende 1761 zog sich Friedrich von Stadion aus der aktiven Politik zurück. Seinen
Lebensabend wollte er in Warthausen verbringen und La Roche folgte ihm mit seiner Familie
dorthin.
Inzwischen war Christoph Martin Wieland in seiner Vaterstadt Biberach als Kanzleiverwalter
angestellt worden und so lebten die Kontakte zwischen ihm und Sophie wieder auf. Über das
Leben in Warthausen schrieb Wieland enthusiastisch: “Das Schloß Warthausen liegt eine
knappe Meile von Biberach entfernt, auf einem Hügel, der Ausblick auf ein reizendes Tal
gibt. Gärten und Parks sind im englischen Stil gehalten und lassen das Haus einem Manne
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wie mir entzückend erscheinen. Der Besitzer, Herr von Stadion, ist ein Mann durch und
durch. Mit seinen zweiundsiebzig Jahren hat er noch das Feuer eines Franzosen von fünfzig,
die schlichte Denkungsart und den Stil eines englischen Edelmannes. Ein Staatsmann,
Kunstfreund und Plauderer par excellence… Bei ihm leben seine Tochter, die Gräfin Schall,
sein Favorit und Faktotum, Herr La Roche mit seiner Frau, ein amüsanter Arzt, ein
Hauskaplan, dessen Spitzname in Erinnerung an Moliére Maitre Pangloss ist, und Sophiens
Kinder, die die schönste Freude des Grafen sind. La Roche ist ein würdiger und
liebenswerter Mann, er sieht zwar aus wie ein Höfling, aber er ist einer der ernsthaftesten
Philosophen, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Es gibt nichts Schöneres als das
Leben in Warthausen, der Tag vergeht bei Lektüre, Plauderei, ausgedehnten Tafelfreuden
und Spaziergängen, und endet gemeinhin mit kleinen Konzerten.“
Sophie sah diese Zeit, trotz mancher persönlicher Eingeschränktheit durchaus positiv:
„Dieses liebliche hier dargestellte Bild bezeichnet die glücklichsten Jahre meines Lebens,
denn ich, die eine Aussicht auf ländliche Gegenden so unaussprechlich liebt, wohnte damals
in einem Flügel des Schlosses Warthausen, dessen Lage auf einem ziemlich hohen Berge
sehr vorteilhaft für meine Wünsche war, indem ich von einer Seite das von dem Fuße des
Berges sich zwischen waldichten Anhöhen gegen die Donau ziehende Thal übersah, in
welchem zerstreute Bauerhöfe fleißiger und reicher Landleute liegen; von der anderen aber
der schöne Schloßgarten und die Felder der Meyerei in dem vollkommensten Anbau vor
dem Auge waren; über diese Felder hin aber die sechs und zwanzig Stunden entfernten
Schneegebirge herüber glänzten.“
1768 starb Graf Friedrich von Stadion. Georg Michael Frank La Roche war testamentarisch
als Stadionscher Oberamtmann in Bönnigheim eingesetzt. Das war zwar eine Absicherung
gegen einen Sturz ins Nichts, aber es war kein Wirkungskreis für einen Mann mit seinen
Fähigkeiten. Zu den Söhnen Graf Stadions bestand eher ein gespanntes als
freundschaftliches Verhältnis und so hielt es ihn nicht in Bönnigheim. Er spielte mit dem
Gedanken, in der Schweiz als Gutsherr zu privatisieren. Doch es liefen bereits
Verhandlungen mit Mainz, wo man sich bemühte ihm ein Regierungsamt zu geben. Doch der
in der Nähe Warthausens lebende kurtrierische Konferenzminister von Hornstein erwirkte
beim Kurfürsten Clemens Wenzeslaus so glänzende Bedingungen für eine Anstellung, daß
Trier schließlich den Vorzug erhielt. La Roche wurde Konferenzminister des Kurfürsten von
Trier mit Sitz in Koblenz-Ehrenbreitstein. Für Sophie war es ein Aufstieg und ein richtiger
Befreiungsschlag. Nun konnte sie ein eigenes Haus führen. Sie schrieb am 7. August 1771
an Johann Georg Jacobi: „Wie oft ist unsere beste Freude nur ein Traum und wie oft werden
die schönste und beste Entwürfe zu Schattenbildern, weil eine fremde Gewalt die Tätigkeit
unsers Herzens verhindert. Sie, und vielleicht unter vielen Sie allein, werden sich vorstellen
können, daß die ernste und melancholische Grundzüge meines Romans, wie die blasse
Grundfarbe meines Gefühls, aus dem oft erneuerten Gefühl des Kummers entstunden, den
mir die gezwungene Unterdrückung der Bewegungen meines Herzens gehen sah, nachdem
ich bei ihrem ersten Anblick mit aller Lebhaftigkeit meiner Seele schon zum voraus das
Vergnügen gefühlt hatte, diese Handlungen auszuüben oder ausüben zu sehen. Aber dies
sind die vergangne Zeiten der fremden Gewalt, und nun kann ich sehen, was in ihrer
Abänderung statthaben wird. Ohngenützt werde ich den geringsten Anlaß des freiwilligen
Guten nicht lassen.“
Nun hatte sie die Möglichkeit, selbst ihre Kinder zu erziehen und diese um sich zu scharen.
Der Älteste, Fritz, war Wieland zur Erziehung übergeben worden als Wieland die Berufung
auf einen Lehrstuhl der Philosophie nach Erfurt angenommen hatte. So konnte Fritz
zurückkehren in den Haushalt La Roche und man stellte für den Jungen standesgemäß
einen Hofmeister ein. Auch Maximiliane und Luise konnten aus dem Kloster zurückkehren
und Sophie von La Roche war glücklich und lebte sichtlich auf.
Ihr Haus in Ehrenbreitstein war direkt am Rhein gelegen. Goethe beschreibt es in „Dichtung
und Wahrheit“: „Das Haus, ganz am Ende des Thals, wenig erhöht über dem Fluß gelegen,
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hatte die freie Aussicht den Strom hinabwärts. Die Zimmer waren hoch und geräumig, und
die Wände galerieartig mit aneinanderstoßenden Gemählden gehangen. Jedes Fenster,
nach allen Seiten hin, machte den Rahmen zu einem natürlichen Bilde, das durch den Glanz
einer milden Sonne sehr lebhaft hervortrat; ich glaubte nie so heitere Morgen und so
herrliche Abende gesehn zu haben.“
Georg Michael Frank von La Roche hatte eine der höchsten ihm möglichen Stellungen
erreicht. Er hatte nun auch Gelegenheit, sich durch Tüchtigkeit zu beweisen und er wollte die
liberale und aufklärerische Linie seines Adoptivvaters Graf Stadion in Trier weiterführen.
Erfahrene Politiker wie Gronschlag, der Nachfolger Graf Stadions in Mainz, warnten ihn
zwar, da Trier ein geistliches Kurfürstentum war, jedoch fanden sie bei La Roche kein Gehör.
Clemens Wenzeslaus von Trier war zu dieser Zeit ein junger, gutwilliger Kurfürst, dem es
noch an staatsmännischer Erfahrung fehlte. So wollte er sich gerne auf die Erfahrungen und
die Qualifikation La Roches verlassen, galt der doch als ein erfahrener Verwaltungsbeamter
und Staatsmann. 1771 verfasste Georg Michael Frank La Roche die Schrift „Briefe über das
Mönchswesen“. Diese Briefe wandten sich gegen den Einfluß der Orden, weil diese nach
seinem Verständnis durch ihre nach Rom orientierten Strukturen das jeweilige Staatswesen
schädigten, zuviel Einfluß an geistlichen Höfen hatten, eine schädliche Lebensweise
propagierten, den Aberglauben förderten und vor allen Dingen das Volk verdummten. Georg
Michael Frank La Roche verstand diese Briefe als konstruktive Kritik innerhalb der Kirche
und hatte sich somit der geistigen und politischen Elite seiner Zeit empfohlen. Kurfürst
Clemens Wenzeslaus gab ihm in einem Brief recht: „Wir werden diesem Ungeziefer, das
mich mehr plagt als den armen Lazarus, dem ich mich gar sehr vergleiche, seine Schwären,
noch eine Umwälzung in unserer Religion zu verdanken haben, es vergehet keine Woch,
dass nicht verdrießliche Berichte dieser unflätigen Mönche einlaufen, der Mantel der
christlichen Kirche, unter dem sie alle ingekeilt stehn wie ein Ballen Stockfische, reicht nicht
mehr zu, ihren Unflat zu bedecken.“ Jedoch hatte La Roche mit seinen „Briefen über das
Mönchswesen“ nicht nur Freunde gewonnen sondern auch die von ihm kritisierte
Ordensgeistlichkeit auf sich aufmerksam gemacht.
Im gleichen Jahr 1771 erschien auch Sophie von La Roches erstes Werk „Geschichte des
Fräuleins von Sternheim“.
Der Roman erschien in zwei Bänden, jedoch zu Beginn anonym und von Christoph Martin
Wieland herausgegeben. Nicht wenige Zeitgenossen gingen deshalb davon aus, dass
Wieland selbst der Verfasser dieses Werkes sei. Alle literarischen Kreise waren sich in ihrem
Enthusiasmus über den Roman einig, auch wenn diese selbst den verschiedensten
Strömungen der Literatur angehörten, seien es Vertreter der Aufklärung und
Empfindsamkeit, des Sturm und Dranges oder auch der Klassik. So Gottfried Herder, der voll
Begeisterung an seine Freundin Carola Flachsland schrieb, das „durchgehende
Dämmernde, Dunkle und Moralischrührende“ habe „eine Würde, eine Hoheit“, die er lange
nicht gefunden habe. Auch Johann Heinrich Merck, Friedrich Heinrich, Jakob Michael
Reinhold Lenz oder Johann Georg Jacobi, selbst Johann Wolfgang von Goethe, sie alle
gehörten dem Kreis der jubelnden Zeitgenossen an. Johann Gottfried Herder schrieb über
das Ende des ersten Bandes: „Ich blieb so betroffen, und gleichsam auf meinem Lebensweg
gehemmt, dass ich, weil ich just vorigen Freitag den Roman las und darauf Sonnabend eine
Predigt machen musste, ich durchaus von nichts anderem predigen konnte, als dass es
unglückliche Schritte gebe, die man nachher lebenslang nicht zurückholen könne; und was
man tun solle?“ Sophie von La Roche hatte die Aufmerksamkeit derer erregt, die in den 70er
Jahren des 18. Jahrhunderts die deutsche Literatur repräsentierten. Alle wollten sie
persönlich kennen lernen.
In „Melusinens Sommerabende“ schreibt sie 1806 selbst zu diesem Roman:
„Mein erster Versuch, die Geschichte des Fräuleins von Sternheim, ist die Frucht des
größten Unmuths, welchen ich damals empfinden konnte. Ich trennte mich ungern von
meinen beiden Töchtern, welche durch Zwang der Umstände in Straßburg bei St. Barbara
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erzogen wurden, und ich sprach öfters darüber in einem Tone voll Trauer mit meinem zu früh
verstorbenen Freunde Brechter, Prediger in Schwaigern bei Heilbronn, einem an Verstand
und Herzen höchst vortrefflichen Manne, welcher das Urbild aller Pfarrherren war, die so oft
in meinen Erzählungen vorkommen, so wie seine Frau das Modell von Emilie in meiner
Sternheim ist. Dieser Mann sagte mir einst: Sie jammern mich! […] wissen Sie was; bringen
Sie alles, was Sie mir von Zeit zu Zeit zu Ihrer Erleichterung mündlich sagen, so wie Ihre
Ideen sich folgen, genau zu Papier. Sie werden den Vortheil davon haben, Ihren Kopf
auszuleeren; können dann in ruhigen Augenblicken es wieder lesen, und beobachten, ob Sie
einige Zeit vorher in dem ungestümen Treiben Ihrer Gedanken Recht hatten oder nicht; üben
zugleich Ihren Geist und erfüllen Ihre durch Abwesenheit Ihrer Töchter einsame Stunden. […]
Doch ich wollte nun einmal ein papierenes Mädchen erziehen, weil ich meine eigenen nicht
mehr hatte, und da half mir meine Einbildungskraft aus der Verlegenheit und schuf den Plan
zu Sophiens Geschichte. […] Dieser Roman wurde gut aufgenommen, besonders, da
Wieland die Güte hatte, die schüchterne Sternheim durch eine Vorrede in die Welt zu führen.
Dies gab mir Freude und Muth meine Rosalie zu unternehmen, welche gleichfalls, das Werk
eines Zufalls ist, den ich mit Überlegung benutzen wollte.“
Die neue Stellung ihres Mannes erlaubte es ihr, in Koblenz-Ehrenbreitstein einen
literarischen Salon zu führen, in dem sich Hof- und Beamtenkreise mit Dichtern, bürgerlichen
Aufklärungsschriftstellern, Denkern und Reformern trafen, auch Norddeutsche mit
Süddeutschen, Frauen und Männer, Katholiken und Protestanten. Zu dieser Zeit gab es
noch keine Nationalkultur, keine Nationalliteratur, auch kein Nationaltheater. So erfüllte
Sophie von La Roche im damaligen Deutschland eine einmalige und herausragende
Funktion. Sie einte alle und alles. In einem Deutschland, das ein Konglomerat war aus
geistlichen und weltlichen Staaten, aus zünftisch regierten Reichsstädten, absolutistisch
regierten Territorialstaaten, das bestand aus Anhängern von drei reichsrechtlich anerkannten
Konfessionen und unzähligen religiösen Schattierungen bis hin zu Freigeistigen und
Atheisten, in einem Land in dem sich Mecklenburger, Niedersachsen oder Holsteiner kaum
mit Schwaben, Alemannen oder Bayern verständigen konnten, wenn sie ungebildet waren.
Waren sie gebildet wusste man nicht, sollte man es in Lateinisch, Französisch oder Deutsch
versuchen. Es war die Zeit, als Bildung und Kultur innerhalb eines Jahrhunderts ungeahnte
Fortschritte gemacht hatten und man mit Aussicht auf Erfolg noch vieles weitere versuchen
wollte: das Volk aufklären und bilden, auftretende Hungerkrisen durch verbesserte
Anbaumethoden, neue Feldfrüchte und Düngung in den Griff zu bekommen, das Leben
praktisch und ethisch durchzuformen und auch das Abergläubische aus der Religion zu
verdrängen. Gerade die Religion erschien in dieser Zeit „schulfüchsisch, pedantisch, zopfig,
sollte sie nicht durch die „Fülle des Herzens“ belebt werden. Es war die Zeit der Öffnung der
Gefühle, das Credo war „Ich fühle, also bin ich.“ Darin fanden sich zugleich die
Anfangsgründe einer besseren Wissenschaft. Sophie von La Roche hatte an allem teil und
spendete allen, sie trennte nicht, sie einte und zwar sich mit jedem und jeden mit jedem. Sie
nutzte ihre Stellung. Sie war gläubig aber nicht bigott. Sie war eine starke Persönlichkeit,
stark im Gefühl, praktisch, zupackend, aufklärerisch und skeptisch, ohne jedoch zu
übertriebenen Rationalismus zu neigen. Sie war gebildet, war im Französischen ebenso
zuhause wie im Deutschen und sie hatte wesentlichen Anteil an der Kultivierung einer
Sprache des Gefühls. Die Sprache des Gefühls ist das Gegenteil der Sprache der Leute von
Stande. Der Adel jedoch wollte die Form, Repräsentation und Abgrenzung. Trotz ihrer
Zugehörigkeit zum kurtrierischen Hofe wählte sie die Sprache des Gefühls, die alle
Schranken niederreißt und keine Distanz kennt. So hatte sie eine Stellung in der deutschen
Geschichte und Literaturgeschichte erreicht, die bis heute einzigartig ist.
Georg Michael Frank La Roche wurde 1775 in den deutschen Adelsstand erhoben (von La
Roche), man vertraute ihm wichtige diplomatische Missionen an, ernannte ihn zum
Kriegsminister und 1778 schließlich zum Kanzler. Seine „Briefe über das Mönchswesen“
fanden nun eine Fortsetzung. Caspar Riesbeck tat dies in noch schärferer Form. Als
Herausgeber dieser neuen Briefe wurde aber La Roche vermutet, die Inhalte wurden ihm
angelastet. Dabei waren sie nur Vorwand, einen inzwischen durch den klerikalen
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Kurswechsel von Kurfürst Clemens Wenzeslaus unliebsam gewordenen Kanzler
abzusetzen. Offizieller Grund war jedoch seine mangelnde Loyalität gegenüber dem
Kurfürsten, da er sich weigerte, die Kosten für das neue kurfürstliche Palais in Koblenz über
erhöhte Abgaben der Bauern zu finanzieren. La Roche nahm gerne Partei für Bauern und
Bürger und kam somit in Konflikt mit seinem Dienstherrn. 1780 wurde er gestürzt. Aus
Solidarität mit ihm trat sein Ministerkollege und Freund Hohenfeld ebenfalls zurück – ohne
seinem Kurfürsten noch einmal unter die Augen zu treten. Die Familie La Roche nahm er in
sein Haus in Speyer auf. Dort war Hohenfeld weiterhin Domherr. Auch seine
Pensionszahlungen überlässt Hohenfeld der Familie La Roche.
„[…] Denn gewiß, in dem Augenblick, da schlechte Menschen uns quälten, war die
Freundschaft und Mitleiden der Guten Felsengrund für uns. Lassen Sie, Merck! diesen
Vorgang mit La Roche, diesen so bittern Kummer, der über mich ging, zum neuen,
dauernden Gewebe einer freundlichen Verbindung werden. Kommen Sie einmal zu uns,
sehen Sie Hohenfeld, den großen, seltnen Freund, was der tat und noch tut, es muß für Sie
ein Festtag sein, so eine Erscheinung in der würklichen Menschenwelt zu sehen. […] (Brief
von Sophie von La Roche an Johann Heinrich Merck, Speyer, 24. 12. 1780)
Wieland bittet Sophie von La Roche um Beiträge für seinen „Teutschen Merkur“ und schrieb
bereits am 6. Oktober 1780: „Teuerste Freundin, Was soll, was kann ich Ihnen über die
fatale Katastrophe sagen, die mir Ihr Brief vom 28. September kund macht? […] Vielleicht,
liebe Freundin, verschafft Ihnen einst die Muße, die Sie zu Speyer genießen werden, auch
Gelegenheit, sich um meinen Merkur verdient zu machen, wo der bessere Teil der Welt
Frauenzimmerbriefe, wie nur Sie allein schreiben können, eben so gern als ehemals in der
Iris oder anderswo lesen wird.“
Sophie entwickelt sich in dieser Zeit zur ersten deutschsprachigen Berufsschriftstellerin.
Durfte sie zuvor mit ihren Schriften kein Geld verdienen und alle Einnahmen sozialen
Zwecken zuführen, um dem Ansehen ihres Mannes nicht zu schaden, so waren nun die
finanziellen Zwänge da, Geld für den Unterhalt der Familie zu erwirtschaften. La Roche
selbst war des Hoflebens überdrüssig und lehnte Angebote aus Preußen und Österreich ab.
Er bezog keinerlei Pension und hatte nur kärgliche Einkünfte aus dem Rheinzoll bei Boppart.
Speyer war um 1780 eine Stadt, die ihre reichsstädtische Bedeutung aus früherer Zeit
weitgehend eingebüßt hatte. Von der totalen Zerstörung 1689 und den verschiedensten
Feldzügen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte sich die Stadt einigermaßen
wieder erholt. Seit 1779 war der Dom wieder aufgebaut und die Hauptstraße zwischen Dom
und Altpörtel, dem letzten intakten Stadttor, zeigte wieder einen geschlossenen Anblick.
Trotzdem hatte der Fürstbischof seine neue Residenz in Bruchsal errichtet, das
Kammergericht war nach Wetzlar umgezogen. 1770 hatte Speyer 3268 Einwohner.
Das Hohenfeld-Haus in Speyer bildete durch die Anwesenheit von Sophie von La Roche
einen gesellschaftlichen Mittelpunkt. Nach wie vor trafen sich hier in ihrem Salon bedeutende
Gäste, darunter Goethe, Schiller, Jung-Stilling, Lavater usw.. Wichtige gesellschaftliche
Kontakte in Speyer selbst waren auch die Domherren Hohenfeld und dessen Freund Joseph
Anton Siegmund von Beroldingen, sowie der Rektor des Gymnasiums Johann Georg Hutten
(1755-1834). Im Januar 1783, Sophie war bereits 53 Jahre alt, erschien das erste Heft ihrer
Monatsschrift „Pomona, für Teutschlands Töchter“. Pomona, die Göttin des Herbstes wählte
sie, weil auch sie sich im Herbst ihres Lebens fühlte. „Pomona, für Teutschlands Töchter“
war die erste von einer Frau herausgegebene überregional verbreitete Frauenzeitschrift
Deutschlands. Sophie selbst schildert die Zeitschrift als ein „Werk des Zufalls“, sie beruft sich
auf „zwey sehr vernünftige Männer“, die ihr dazu geraten hätten. Waren es die beiden
Domherren Hohenfeld und Beroldingen? Hutten jedenfalls hatte ihr geholfen, den
geschäftlichen Teil der „Pomona“ abzuwickeln. Den literarischen Teil der Zeitschrift bestritt
sie allein.
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„[..] Nur der etwas großthuende Zusatz „für Teutschlands Töchter“ war unbedachtsames
Nachahmen des Titels einer periodischen Schrift: Für Hessens Töchter. Leider fühlte ich die
Unbesonnenheit erst, da mir gezeigt wurde, dass man es übelgenommen und als stolze
Anmaßung ausgelegt habe. Gewiß bildete ich mir nicht ein, dass ich Teutschland belehren
könnte; aber der Titel braußte in der That hoch daher und hatte ein Ansehen von
beleidigenden Ansprüchen; es war also ganz recht, dass ich durch Tadel gestraft wurde.[…]“
Die Zeitschrift erschien monatlich und hatte das Ziel, die Töchter des dritten Standes in
Deutschland zu bilden. Sophie von La Roche schrieb hier mit schwebender Leichtigkeit,
unterhaltsam und vermittelte dabei ihre eigene Bildung. Sophie ließ Sachwissen einfließen
und brillierte durch Plauderei und Gespräch. Obwohl sie immer wieder recht progressive
Akzente setzte, vertrat sie die konservative Linie des Sich-Einfügens, des Zufriedenseins, die
Akzeptanz des Gegebenen. Die weibliche Bildung solle sich auf den Mann beziehen. Der
Verstand der Frau soll soweit ausgebildet sein, dass sie in der Lage ist, den Gesprächen der
Männer zu folgen und geistreiche Konversation zu üben. Nicht mehr! Das klingt bescheiden,
aber für die damalige Zeit war es ein großer Schritt nach vorn und Sophie musste vorsichtig
sein, um nicht mit zu progressiven Ansichten in eine gesellschaftliche Ächtung zu kommen.
Damit wäre niemandem gedient gewesen, am wenigsten ihr selbst, denn auch wenn die
Zielsetzung der Zeitschrift der Aufklärung und Bildung, sowie der Erziehung der Frauen
dienen sollte, ist der ökonomische Antrieb nicht zu verkennen. Sophie von La Roche hatte
noch zwei unversorgte Söhne und ihr Gatte war ein gebrochener Mann. Sie kannte den
finanziellen Erfolg, den Wieland mit seinem „Teutschen Merkur“ hatte und hoffte mit ihrer
„Pomona“ die notwendigen Mittel für den Lebensunterhalt zu beschaffen.
In einem Brief vom 27. 19 1782 schreibt sie an J. C. Lavater:
„Sie haben mir, teurer Freund, erlaubt, Ihnen manchmal ein Wort zu schreiben, und ich
gebrauche diese Erlaubnis mit einer Bitte.
Ich gebe mit dem Jenner 1783 eine Monatschrift für Frauenzimmer aus, die Pomona heißt.
In der sind zufällige Gedanken von mir, Auszüge aus englischen, italienischen und
französischen Monatsschriften, die für mein Geschlecht geschrieben werden. Gedichte von
Frauenzimmer, Stücke aus Thomsons Jahreszeiten, ausgelegt, wie ich glaube, dass es für
die weibliche Kenntnis nötig und nützlich ist, ohne uns von der heiligen häuslichen
Bestimmung abzuziehen, und dann Moralische Erzählungen von mir. Ich habe an Frau
Geßner geschrieben, dass ich wünsche, auch Leserinnen in der Schweiz zu haben, und
dass eine Buchhandlung die Mühe nähme, Abonnenten für Pomona zu sammeln, dass ich
für hundert Abonnenten des Jahrs hundert Gulden Erkenntlichkeit geben werde… Pomona
wird sechs Bogen haben und 4 Gulden 30 Kreuzer Reichsgeld kosten.
Wollen Sie beitragen, dass ich Leserinnen bekomme? Sie tun Gutes an meinen Söhnen,
denn ich schreibe „Pomona“ für meinen Carl und meinen Wilhelm, um in etwa zu ersetzen,
was ihnen die Feinde ihres Vaters raubten. Gott segne Sie. Segnen Sie mein Vorhaben und
bieten Sie mir die Hand dazu.“
„Pomona“ erschien im Selbstverlag der Autorin. Durch die Aufzeichnungen Huttens ist es
heute noch nachvollziehbar, wer zu dem Abonnentenkreis gehörte. Aufgrund des guten
Rufes der Frau von La Roche wurde diese Zeitschrift in den höchsten Kreisen gelesen. So
berichtet Hutten von Zarin Katharina II., die 500 Exemplare gezeichnet habe. Außerdem
werden als besondere Förderer die Königin von England und die Fürstin Luise von Anhalt-
Dessau genannt. Auch tauchen in der Liste mit 563 Positionen noch weiter Mitglieder
regierender Häuser auf. Daneben viele Einzelpersonen.
„[…] Ich hoffe meine Leserinnen sind mit mir zufrieden, dass ich sie vorerst mit den
Verdiensten unsers Geschlechts bekannt mache, weil sie dadurch ihre eigene Fähigkeiten
näher kennen lehre, und vielleicht den edlen Ehrgeiz erwecke, auch in ihrer Art und nach
ihren Umständen Vorzüge des Wissens und der Beschäftigungen zu erwerben. […]“
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Als 1784 auch die beiden jüngsten Söhne aus dem Haus waren, begann sie zu reisen. Somit
reihte sie sich ein in die Riege der damals so populären Reiseschriftsteller, die gerade in den
80er Jahren des 18. Jahrhunderts eine bis dahin nie dagewesene Konjunktur hatten. Ihre
erste große Reise führte sie von Juni bis September 1784 in die Schweiz. Im Frühsommer
1785 weilte sie 4 Monate in Frankreich und im Herbst 1786 durchreist sie Holland und
England. Über jede dieser Reisen verfasste sie Reisetagebücher, die sie veröffentlichte.
Reisende Frauen gab es zu La Roches Zeiten wenige. Frauen waren in der Regel nur
Begleitpersonen der Männer, selbst Badereisen waren ungewöhnlich. Vor Sophie von La
Roche dürfte kaum eine deutsche Frau die Möglichkeit gehabt haben, auf Bildungsreise zu
gehen. Sie jedoch lebte den Anspruch der Frau auf Bildung vor und schrieb auch darüber.
Als Sophie von La Roche von ihrer Englandreise zurückkehrte, kam es zum Umzug nach
Offenbach in das eigene Haus. Georg Michael Frank von La Roche hatte sich das Haus wohl
mit Hilfe seines Schwiegersohnes Peter Anton Brentano (Gatte der ältesten Tochter
Maximiliane) gekauft. Sie nannte dieses Haus ihre „Grillenhütte“. Dort verbrachte sie noch
mehr als 20 Jahre, länger als sie sich sonst irgendwo aufgehalten hat. „Die letzte Herberge
auf dieser immerwährenden Pilgrimschaft“. Offenbach lag günstig, nicht weit von Frankfurt
und den Brentanos, nicht weit von Nassau und der befreundeten Stein’schen Familie, nicht
weit von Laubach und der geliebten Fürstin Elise zu Solms-Laubach entfernt und war
„Zusammenfluß“ von Nachrichten und Neuigkeiten.
Zwei Jahre nach der ersten Herausgabe der „Pomona“ stellte Sophie von La Roche die
Zeitschrift wieder ein. Viele Gründe mögen dazu geführt haben. In einer „Anzeige an das
Publikum“ vom 31. 12. 1784 am Ende der letzten Lieferung stellte Hutten eine Fortsetzung
unter dem Titel „Briefwechsel der Pomona“ in Aussicht, die jedoch nie erschienen ist.
Mögliche Gründe für die Aufgabe der Zeitschrift können durchaus in der Konkurrenz zu
anderen Zeitschriften zu suchen sein. Wieland hat sich sehr passiv verhalten, eine
Besprechung in seinem „Teutschen Merkur“ hat nie stattgefunden und er hat seinerseits die
„Pomona“ nur halbherzig gefördert, um vermutlich so selbst vom Markt der Frauenliteratur zu
profitieren.
Jürgen Vorderstemann, Herausgeber der Faksimileausgabe von „Pomona, für Teutschlands
Töchter“ schreibt in seinem Vorwort:
„Aus heutiger Sicht ist die „Pomona“ der erste Versuch einer deutschsprachigen Literatin, mit
einer eigenen Zeitschrift aus dem Schatten ihrer männlichen Kollegen herauszutreten, selbst
Anspruch auf Breitenwirkung zu erheben und sich als Selbstverleger zu behaupten. So
konservativ sich die Zeitschrift inhaltlich noch gibt, ist sie doch ein Meilenstein auf dem Wege
zu den sich ihrer Individualität sehr bewussten Frauen der Romantik, wie sie ihre Enkelin
Bettina von Brentano verh. von Arnim verkörperte.“
Am 21. November 1788 starb Georg Michael Frank von La Roche an den Folgen eines
Schlaganfalls. Hier überrascht Sophie von La Roche wieder: Solange er lebte ordnete sie
sich ihm unter, sie schätzte ihn und war ihm kameradschaftlich verbunden. Als er alt und
krank wurde, umsorgte und versorgte sie ihn. Als er aber starb, atmete sie auf und fühlte
sich unabhängig und frei. Nun konzentrierte sie sich auf ihre Kinder. Carl war tüchtig und
fleißig und verstand es, die ihm gebotenen Möglichkeiten zu nutzen und wurde durch eine
Ausbildung im Bergwesen und durch den preußischen Minister Heinitz ein gefragter
Fachmann für die Salzgewinnung. Franz Wilhelm studierte bei Jung-Stilling in Marburg das
Forstwesen. Seine Mutter wollte ihn bei einem protestantischen Fürsten als Forstassessor
unterbringen um ihn der Rache der Feinde Georg Michael Frank La Roches am
kurtrierschen Hof zu entziehen. Dank ihrer Beziehungen zum hessisch-darmstädtischen Hof
nahm 1790 Landgraf Ludwig X. den jungen Franz Wilhelm von La Roche als Forstassessor
in seine Dienste. Im Jahre 1791 erkrankte der 23jährige Franz Wilhelm und verstarb. Dieser
Tod war für Sophie von La Roche schmerzlicher als der ihres Ehemannes. Zwei Jahre später
starb auch ihre älteste Tochter Maximiliane, die sie am meisten geliebt hatte und hinterließ
17
acht unmündige Kinder. Als dann auch Peter Anton Brentano im Jahre 1797 starb, nahm sie
drei ihrer Enkelinnen in ihrem Haus auf. Das private Glück schien nun endgültig vorbei, denn
auch ihre Tochter Luise, die unglücklich verheiratet war mit dem reichen kurtrierischen Hofrat
Möhn, verließ ihren Mann als dieser wegen Alkoholismus seines Amtes enthoben wurde und
kehrte in den Haushalt der Mutter zurück. Der älteste Sohn Fritz hatte sich als Soldat der
französischen Seite im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ausgezeichnet. Seine Mutter
Sophie riet ihm bei seiner Rückkehr, eine reiche holländische Witwe zu heiraten. Fritz kaufte
zunächst ein Haus in Offenbach. Doch lange blieb er hier nicht. Er wanderte mit seiner
Familie nach Amerika aus, zerstritt sich mit seiner Frau war später zeitweilig in Russland
verschollen.
Die französische Revolution und die sich daraus ergebenden politischen Ereignisse
bereiteten Sophie zunehmend Kummer. 1793 saßen die Menschen in Offenbach auf
gepackten Koffern. Flüchtlinge zogen durch die Stadt, in Sophies Haus wurden zwei
österreichische Artilleristen einquartiert, später noch andere Soldaten. Sophie von La Roche
hatte Angst um den Überrest ihres Vermögens und ihre Gemäldesammlung. Nachdem 1794
die Franzosen das linke Rheinufer besetzten, floh der Kurfürst von Trier. Sophies
Witwenrente sowie die Einkünfte aus dem Rheinzoll von Boppart entfielen. Zunehmend
machten sich Resignation und Verzweiflung bei ihr breit. Im Jahre 1799 begab sie sich ein
letztes Mal auf Reisen um ihren Sohn Carl in Schönebeck/Elbe zu besuchen. Auch Wieland,
der zu dieser Zeit mit seiner Familie auf dem von ihm erworbenen Rittergut in Oßmannstedt
bei Weimar lebte, machte sie ihre Aufwartung. Ihre Enkelin Sophie Brentano begleitete sie
auf dieser Reise. Die Enkelin lernt Wieland schätzen und lieben und kehrt im Juli des
folgenden Jahres nach Oßmannstedt zurück, erkrankt und stirbt am 20. September 1800 im
Alter von nur 24 Jahren. In ihren letzten Lebensjahren zieht sich Sophie von La Roche
zunehmend von der Außenwelt zurück. 1806 verfaßt sie ihr letztes Werk: „Melusinens
Sommerabende“, ein Lebensrückblick, wiederum von Wieland herausgegeben.
Sie schreibt in ihrem Vorwort: „[…] und hoffe mit dem Wohlwollen edelgesinnter Bekannten,
die noch wenigen Schritte meines ziemlich verwundenen Lebens zu vollenden: Man sagt, ich
würde den allgemeinen Frieden noch sehen, Gott wolle es bald!“
Über ihren letzten Lebenstag, sowie ihren stillen Tod erzählt ihre Enkelin Meline Brentano
ihrem Schwager Friedrich Carl von Savigny am 19. 2. 1807:
„Die Entkräftung der Großmutter nimmt immer zu; doch behielt sie ihren völligen Verstand;
sie erbaute jedermann, sprach mit allen, und ihre große Gutmütigkeit hat sich in ihrer
Krankheit sehr gezeigt. […] Diesen Morgen schreibt die Tante, die gute liebe Großmutter sei
um 7 Uhr gestern Abend auf ewig eingeschlafen. Sie hatte ein ruhiges unendlich schönes
End, bewies recht durch ihr Sterben, wie gut sie war.“
Es war der 18. Februar 1807 als Sophie von La Roche „in gänzlicher Entkräftung“ verstarb.
Wielands „Der Neue Teutsche Merkur“ schrieb in seiner Ausgabe März 1807:
„Man hat die nun verewigte Sophie die gute Mutter von Teutschland Töchtern genannt. Sie
hat es wenigstens, ohne alle Anmaßung und Eitelkeit, aus den reinsten Absichten stets seyn
wollen. Man muß sie über sich selbst sprechen, und die Geschichte ihrer Schriftstellerei in
Melusinens Sommerabenden […], dem letzten Vermächtniß ihres Schreibepultes, erzählen
hören. Wir hoffen durch denselben edlen Freund, der ihr hier diesen Cypressenzweig auf die
Urne legt, unsern Lesern noch ein kleines biographisches Denkmal auf sie mittheilen zu
können […].
Sie wurde, obwohl evangelisch, neben ihrem Mann und ihrem Sohn Franz auf dem
katholischen Friedhof in Bürgel bei Offenbach begraben, da es in Offenbach zu dieser Zeit
noch keinen katholischen Friedhof gab. Der Grabstein der Familie La Roche besteht aus
einer roten Sandsteinpyramide, die an beiden Seiten mit Ährengewinden, Lorbeerkränzen
und Palmzweigen geschmückt ist. Eine reliefartige, ebenfalls reich geschmückte Urne krönt
eine Schrifttafel, auf der zu lesen ist:
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„An des Vaters Seite ruht die Gattin Sophie de La Roche geb. Guntermann, gest. 18.
Februar 1807 und der Sohn Franz Wilhelm de La Roche, gest. 12. Dezember 1791.“
Die Pyramide des Grabsteins ruht auf einem Sockel, in dessen Vorderseite ebenfalls eine
Inschrift ist: „Bey diesem Stein ruhet Georg Michael Edler von La Roche, alter Canzler und
Staatsrat von Churtrier. Sein großer Geist, seine Rechtschaffenheit und Güte werden von
allen redlich verehrt. Er liebte die Landleute und wünschte sich ein Grab bei ihnen. Gott rufet
ihn zum Lohn seiner Tugenden den 21. November 1788 im 69. Jahre seines Lebens in
Offenbach am Main.“